Franz von Assisi: Die Franziskaner und Bonaventura

Franz von Assisi: Die Franziskaner und Bonaventura
Franz von Assisi: Die Franziskaner und Bonaventura
 
Als Franziskus 1209 über Buße und Frieden zu predigen und Gefährten zu sammeln begann, fand er unerwartet großen Widerhall - bei seinem Tod sollten es um die 5 000 Brüder sein, die ihm folgten. Franziskus, der Poverello, war der Heilige der unbedingten Armut. Das damalige wirtschaftliche Aufblühen der norditalienischen Städte macht verständlich, dass man sich gerade dieses Aspekts des Lebens Jesu als Kontrast zur eigenen Existenz besonders bewusst wurde. Franziskus hat Armut nicht nur mit Worten, sondern auch mit symbolischen Handlungen gepredigt: So begann er eigenhändig, ein Haus zu demolieren, das die Bürger von Assisi für die Brüder errichtet hatten. Dazu kam das asketische, leibfeindliche Ideal der franziskanischen Bewegung - Buße galt als wichtigster Weg ins Himmelreich: »Einen größeren Feind als meinen Körper habe ich nicht«, lehrte der Heilige selbst, und Fasten, Selbstgeißelung, Selbstüberwindung hat er wirklich genugsam vorgelebt, blieb auch das Martyrium des Lebens mit den Leidenden und Armen im Mittelpunkt seiner Existenz.
 
Neu erschien auch die Einstellung des Heiligen zur Natur. Man hat seine Haltung, besonders die den Tieren gegenüber, allerdings oft im Lichte moderner Vorstellungen missverstanden. Franziskus liebte oder schützte sie nicht als Wesen um ihrer selbst willen - der Gedanke ist dem Mittelalter so gut wie fremd und gehört einer späteren kulturellen Entwicklung an -, sondern weil sie nach dem allegorischen Denken der Epoche zeichenhaft auf eine höhere Wahrheit verwiesen. Tiere kommen im »Sonnengesang« nicht vor. Erst wenige Wochen nach seiner Stigmatisation, zwei Jahre vor seinem Tod (1226), dichtete er dieses hymnische Dankgebet, ein Lob der Kreatur nach dem Vorbild der Schöpfungspsalmen - ein Lob deswegen, weil sie Gottes Werk ist, nicht um ihrer selbst willen. Unwillkürlich manifestierte sich hier aber ein zukunftsträchtiger Ansatz von Naturgefühl, wie er so im früheren Mittelalter auf dem Kontinent kaum zu finden war, da das Mönchtum bisher weitgehend vom Ideal der Weltverachtung geprägt wurde.
 
Franziskus und seine Genossen taten aber auch etwas, was in ihrer Zeit ausgesprochen gefährlich war: Sie betrieben die (kirchenrechtlich Priestern vorbehaltene) Volkspredigt. Dass die Minderbrüder deswegen nicht, wie etwa die Waldenser, verketzert wurden, hat seinen Grund darin, dass Franziskus nie gegen die Besitzenden und Mächtigen protestierte, sondern nur demütig das Schicksal der Unterprivilegierten teilte, um dem armen. Christus nachzufolgen. Nie kritisierte er die kirchliche Hierarchie, sondern betonte stattdessen in extremer Weise die Unterordnung - das berüchtigte Wort vom Kadavergehorsam geht auf ihn zurück. Verweigerung von materiellen Gütern und von Macht, Preis der Schöpfung und freiwillige soziale Marginalisierung waren also drei Hauptelemente des frühen Fanziskanertums, die vielen Gläubigen der beste Weg zur Gewinnung des Paradieses schienen.
 
Wider Willen hatte Franziskus der Umformung seiner Gemeinschaft in einen kirchenrechtlich reglementierten Orden zustimmen müssen. Die in der Kirchengeschichte so oft wiederholte Tragödie, dass das, worum der Religions- oder Ordensstifter so sehr gerungen, schon von seinen Jüngern, sei es in guter, sei es in böser Absicht, verraten wurde, sollte auch die Geschichte der Minderbrüder bestimmen. Immer wieder zerspalteten sie sich in verschiedene, auch verfeindete Gruppierungen. Es kam zu heftigen Kämpfen zwischen denjenigen seiner Jünger, die das Leben des Poverello in aller Strenge nachahmen wollten, wobei sie Armut über Gehorsam setzten, und denjenigen, die Erleichterungen und eine Angleichung an die alten Orden vorzogen.
 
Es ist bezeichnend, dass erstere, die Spiritualen, eher Dichter und Erlebnismystiker hervorbrachten. Am berühmtesten ist vielleicht Iacopone da Todi (* um 1230, ✝ 1306), der Jahre seines Lebens von Papst Bonifatius VIII. in unterirdischer Einzelhaft gehalten wurde. Seinen mystischen. Christuserfahrungen hat Iacopone in leidenschaftlichen Liedern Ausdruck gegeben, Erbe der Emotionalität des Ordensvaters.
 
Zweifellos die berühmteste und einflussreichste Persönlichkeit der Gegenpartei, der Konventualen, war Bonaventura von Bagnoregio (* 1217/1221?, ✝ 1274). Er wurde der theologische und philosophische Vordenker des Ordens und wirkte als Professor an der Universität Paris. Ab 1257 als Generalminister Leiter der Minoriten, ließ er die ältesten Quellen über Franziskus vernichten, um die wörtliche Bezugnahme auf jene Schriften zu verhindern. An ihre Stelle trat seine eigene Neubearbeitung des Lebens des Ordensstifters, das er im Sinne der theoretischen Mystik interpretierte. Im sechsflügeligen Seraph, der Franziskus bei der Stigmatisation erschienen war, erkennt Bonaventura eine symbolische Darstellung der kosmischen Struktur und des geistigen Aufstiegs im Sinne des Neuplatonismus. Jedes Flügelpaar des Engels entspricht einem Bereich der Welt: der materiellen um uns, der seelischen in uns und der göttlichen über uns. In Bonaventuras Traktat »Pilgerreise der Seele zu Gott« finden sich diese Stufen als verschiedene Manifestationen Gottes beschrieben. Dessen »Spuren« folgt die pilgernde Seele für den ersten Bereich mit vernunftgemäßem Nachdenken über die sichtbare Schöpfung, für den zweiten mit der Reflexion über das Bild Gottes, nach dem wir geschaffen wurden, für den dritten mit irrationaler Erkenntnis. Bonaventura unterwirft so die ekstatische Erfahrung des Meisters der intellektuell-scholastischen Analyse. Damit ist das Tor zur Verwissenschaftlichung der Religiosität auch in diesem Orden geöffnet, völlig im Gegensatz zu dem, was Franziskus gewollt hatte, doch in Angleichung an die konkurrierenden Dominikaner.
 
Wurde das radikale Armutsideal des Stifters im Mittelalter auch nur mehr von wenigen seiner Nachfolger praktiziert, so blieb doch von seiner Verehrung der göttlichen Schöpfung ein Reflex in den naturkundlichen Bemühungen etwa eines Roger Bacon (✝ um 1292), die ihn zu einem Vorläufer der modernen Naturwissenschaftler machen. Und die Verehrung des Erdenlebens und -leidens des Erlösers bei Franziskus erhielt nicht nur in der bis heute beibehaltenen Tradition der Weihnachtskrippe Bestand, sondern auch in der neuen Form konkret-bildhafter Meditationen über Christi irdischen Wandel, die - Bonaventura zugeschrieben - viele Generationen hindurch die fromme Betrachtung prägten. Aber nicht nur diese, denn die im 13. Jahrhundert noch ungewohnte Technik, sich vergangene Ereignisse ganz körperlich und greifbar vorzustellen und sich in sie hineinzuversetzen, sollte säkularisiert die Fantasie der Europäer in einer für ihre Kultur typischen Weise prägen. So unbekannt dies auch ist: Die europäische Kunst und das europäische Theater wollen - im Gegensatz etwa zum asiatischen - historische Realität (im weiten Sinn) nicht nur gemäß antiker Sehweise vor Augen führen, sondern ebenso, weil sie in dieser franziskanischen Tradition der veristisch-bildhaften Vergegenwärtigung stehen.
 
Prof. Dr. Peter Dinzelbacher
 
 
Feld, Helmut: Franziskus von Assisi und seine Bewegung. Darmstadt 1996.
 Frank, Karl Suso: Geschichte des christlichen Mönchtums. Darmstadt 51996.
 Grundmann, Herbert: Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Darmstadt 41977.
 
Kulturgeschichte der christlichen Orden in Einzeldarstellungen, herausgegeben von Peter Dinzelbacher u. a. Stuttgart 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

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